E-Handbike
Welcher Rollstuhlfahrer träumt nicht davon mit seiner Familie oder seinen nichtbehinderten Freunden in der Freizeit durch Wälder zu streifen oder einfach mal mit dem Rad ins Naherholungsgebiet zu fahren?
Mit dem Rollstuhl ist dieses Unterfangen unrealistisch, mit dem Handbike über Waldstrassen zu fahren ist Sport und nur gut trainierte Handbiker meistern ausgiebige Routen in sehenswerte Regionen. Mit dem E-Handbike wird dieser Wunsch auch Gelegenheits-Handbikern ermöglicht.
Plötzlich gehören schöne Rad-Touren zum regelmässigen Familien-Ausflugsprogramm.
Nicht wenige sehr aktive Renn-Handbiker nutzen Geräte mit E-Unterstützung als familienfähiges Genussgerät.
Gesetzliche Bestimmungen
Es gibt Bestrebungen für Handbikes eigene gesetzliche Regeln zu bekommen. Begründung: Arm- und Handkraft sind antomisch deutlicher schwächer als Beinkraft von Fussgängern.
Solange diese Bestrebungen zu keinem Resultat geführt haben, gelten für Handbikes die Regeln für E-Fahrräder und nicht die für schnelle S-Pedelecs. S-Pedelecs müssen einspurig sein. Die S-Pedelec Regeln gelten nicht für dreirädrige Gefährte wie z.B. Lastenräder oder eben Handbikes.
Viele E-Handbikes verfügen über Motoren mit 1000W Dauerleistung / 1600W Peak, was klar illegal ist.
Was gilt nun (Stand 2023):
Schweiz
Dauerleistung 500 W bei 48 V / Max 25 km/h mit Tretunterstützung / Max 20 km/h ohne Tretunterstützung (Daumengas)
Deutschland
Dauerleistung 250 W (Volt ist nicht reglementiert) / Max 25 km/h mit Tretunterstützung / Max 6 km/h ohne Tretunterstützung (Daumengas/Anfahrhilfe)
Österreich
Dauerleistung 250 W, je nach Quelle 600 W Peak (Maximalleistung) (Volt ist nicht reglementiert) / Max 25 km/h mit Tretunterstützung / Max 6 km/h ohne Tretunterstützung (Daumengas/Anfahrhilfe)
Schnellübersicht E-Handbike
Sitzpositionen: von Standard- bis Touren-Handbikes.
Rahmen: Aluminium und Stahl, robuste Radhalterungen, moderate Einstellbarkeit.
Schaltung: zuverlässige Kettenschaltungen für Nabenmotoren, Nabenschaltungen für Mittelmotoren. Moderates Übersetzungsverhältnis.
E-Antriebe: Starke Direktläufer und Getriebe-Nabenmotoren, Mittel-/Kurbelmotoren.
Bremsen: Kombination aus Scheibe- und Felgenbremsen. Besser Scheiben an allen Rädern. Für Tetraplegiker Rücktritt.
Radsturz: kein oder nur wenig, dafür breite Spur wie CrossCountry-Handbikes.
Räder: 559 (25″), 584 (27.5″) oder 622 (29″)
Reifen: Nicht zu schmal von 40-559 bis 60-559, guter Pannenschutz.
Sicherheit: Safety Rack, Signalflagge und Beleuchtung. Optimierte Antidekubitus Sitzkissen.
Sitzposition
- Das Standard- / Festrahmen-Handbike weist idealerweise die anatomisch richtige Standard-Sitzposition auf. Diese Art von Handbikes ist gleichzeitig prädestiniert für den Einsatz von E-Antrieben.
- Das Alltagshandbike mit E-Antrieb sollte nicht überaus tief gelegt sein, damit der Überblick auf der Strasse vorhanden bleibt und Überfahrten von Randsteinen keine Lackschäden verursachen. Ebenfalls wird der Transfer in, wichtiger noch, aus einem höheren Sitz einfacher ausfallen.
- Gutes Sitzkissen und/oder eine gute Auflage für ein Antidekubitus Sitzkissen ist unerlässlich.
- Die Standard- / Festrahmen-Sitzposition und die Tourenhandbike Sitzposition eignen sich auch zum Einsatz als E-Bike, da mit der elektrischen Hilfe grössere Distanzen gefahren werden. Grössere Distanzen heisst auch längere Sitzzeiten.
Quelle: Handbike-Andi Privatarchiv
Rahmen
Quelle: Handbike-Andi, Privatarchiv
Quelle: www.praschberger.com
Quelle: Handbike Andi Privatarchiv
- Elektrisch unterstützte Standard-Handbikes müssen genügend stabile Rahmen bieten können. Die Akkupakete sollten hinter der Rückenlehne Platz finden.
- Motoren müssen mit einer massiven Drehmomentstütze gesichert werden. Standardmässige Ausfallenden halten den Kräften nicht stand. Wie das aussieht, wenn sich ein starker Motor im Ausfallende dreht sieht man am Bild.
- Stahl oder Aluminium sind für den Rahmenbau geeignete Werkstoffe. Carbon empfiehlt sich nicht für E-Bikes.
- Federsysteme erhöhen den Komfort merklich. Wer mit Motorunterstützung über Schotterstrassen fegt, wird das schätzenlernen.
- Handbikes in Tadpole Anordnung (zwei gelenkte Vorderräder und ein angetriebenes Hinterrad) eignen sich hervorragend für den Einsatz von Mittelmotoren und bieten genügend Traktion.
Handgriffe / Schaltung
- Eine moderne 3×9 Kettenschaltung mit einer an das Standard Fussgänger-Mountainbike angelehnten Entfaltung macht am Elektro-Handbike am ehesten Sinn. Vorschlag 24-33-44 und einer Kassette von 11 – 36 Zähne auf einem Rad mit 47-559 Bereifung.
- Mit stärkeren Motoren (>500 Watt) genügen 1×11 oder 1×10 Schaltungen völlig. Damit lässt sich auf ein Schaltkabel verzichten.
- Beim Einsatz von Mittelmotoren müssen spezielle Ketten, Kettenblätter und Ritzel für E-Bikes verwendet werden, da normale Bauteile die zusätzliche Kraft des Motors nicht aushalten werden. Mit Mittelmotoren sind weniger Gangstufen ausreichend so bietet die spezielle E-Bike-Schaltgruppe SRAM EX1 1×8 Gänge was in der Regel gut ausreicht.
- Handgriffe ovales Griffrohr mit Schalt- und Bremsarmaturen am Griff.
Quelle: www.schmicking-uk.co.uk/
Quelle: www.sram.com
E-Handbike Antriebe
Quelle: Daniel Schliessmann
Quelle: www.ebikes.ca
Die richtige Positionierung des Motors hat viel mit der Konstruktion des Handbikes zu tun.
- Kurbel-(Mittel-)Motoren haben den Vorteil, dass die Schaltung hinter dem Motor platziert ist, so kann der Motor immer in einer schonenden, effizienten und stromsparenden Drehzahl gehalten werden. Sofern der Bauraum an der Kurbel das zulässt und der grosse Motor die Sicht nicht einschränkt wird der Mittelmotor oben direkt bei der Kurbel montiert werden.
- Moderne starke Mittelmotoren ermöglichen vielen nicht Spitzensportlern ungeahnte Möglichkeiten für Touren mit der Familie.
- Naben-Getriebe-Motoren sind die beste Wahl wenn Mittelmotoren nicht eingesetzt werden können. Es ist davon auszugehen, dass ein CrossCountry-Handbiker öfter mal längere Bergauffahrten unternimmt, das würde Direktläufer-Motoren überhitzen.
- Es gibt Versuche mit zwei Naben-Getriebe-Motoren in den Hinterrädern, was ungeahnte Traktion verspricht. Leider bleiben die Probleme der geringen Wendigkeit und der kaum realisierbaren Federung (vorne) bestehen. So bieten die Tadpole Handbikes mehr Möglichkeiten.
- Akkus hinter der Rückenlehne montiert.
Quelle: SPS / Handbike-Andi
Quelle: SportOn, Jarek Rola Privatarchiv
- Der Mittelmotor wird vor, unter oder hinter der Sitzfläche angebracht dadurch bleibt der Schwerpunkt tief.
- Für den Einsatz im alpinen Raum eignen sich nur Mittelmotoren. Nabenmotoren kommen mit dem hohen Systemgewicht (Fahrer und Handbike) bei langsamer Fahrt nicht klar.
- Moderne starke Mittelmotoren wie z.B. Bafang BBS02 (48V) oder BBSHD (48V oder 51V) ermöglichen vielen nicht Spitzensportlern ungeahnte Möglichkeiten für Touren mit der Familie. Leider schränkt die Gesetzgebung stark ein. Während in Österreich und der Schweiz 500 Watt Motoren mit 48V legal sind, erlaubt Deutschland nur 250 Watt.
- Mittelmotoren direkt an der Kurbel sind für Tadpole Handbikes wegen der langen Kette nicht geeignet.
- In flachen oder leicht hügeligen Gebieten sind Naben-Getriebe-Motoren einsetzbar. Direktläufer-Nabenmotoren nur für schnelle Handbikes welche kaum Steigungen zu bewältigen haben.
- Akkus werden möglichst tief unter den Sitz oder hinter der Rückenlehne montiert.
Bremsen
- Das E-Handbike ist nicht nur schneller sondern auch schwerer. Eine Kombination aus einer grossen (200 mm) Scheibenbremse und einer V-Brake Felgenbremse muss im Minimum zur Verfügung stehen.
- Scheibenbremsen an jedem Rad sind zu priorisieren.
- In flachen und leicht hügeligen Gegenden können zwei Bremskörper auf einer Scheibe ausreichen. In alpinen Gelände ist davon abzuraten, da die Scheibe überhitzen kann und dann wird auch die Zweitbremse wirkungslos.
- Sehr wichtig ist eine gut funktionierende Feststellfunktion für den Transfer. Vorschlag Tektro Auriga Comp vorne und/oder Tektro Auriga Twin hinten. Zwei Fliegen mit einer Klatsche. Super hydraulische Bremswirkung und simple, funktionierende Feststellbremse.
- Interessant sind wireless Bremsen mysmartbrake. Damit kann das leidige Thema mit den schwingenden Kabeln reduziert werden. My Smartbrake bietet zusätzlich eine perfekte Parkbrems-Funktion. Natürlich ist eine mechanische Notfallbremse unerlässlich.
Quelle: www.proactiv-gmbh.de
Quelle: Handbike-Andi Privatarchiv
Quelle: Handbike-Andi Privatarchiv
Quelle: https://mysmartbrake.com
Radsturz
Quelle: Handbike-Andi Privatarchiv
Im Prinzip braucht kein Handbike Radsturz, im Gegenteil Radsturz erhöht den Rollwiderstand und lässt die Reifen auf einem dafür nicht vorgesehenen Bereich ablaufen.
E-Handbikes mit je einem Nabenmotoren pro Hinterrad dürfen technisch bedingt keinen Radsturz haben, Der Radsturz würde den Motor zerstören.
Zwar kommen viele Handbikes nach wie vor mit Radsturz aus der Fabrik gerollt.
Hat der Kunde die Wahl, soll er unbedingt ohne Radsturz ordern, jedoch auf folgende Punkte achten:
- Die Räder (hinten) sollen so weit auseinander stehen dass sie am Boden, Mitte / Mitte gemessen zwischen 65 und 70cm auseinander stehen.
- Dass breite, robuste Naben montiert sind, keine super schmale Rennnaben.
Räder
- Das Festrahmen-E-Handbike läuft ideal auf 559 (26“) grossen Rädern vorne und hinten.
- E-Vorspann-Handbikes sind kompakter und wendiger mit kleineren 406 (20“) Rädern.
- Die Felgen sollen von robuster, stabiler Bauart sein.
- Wer an der Anzahl Speichen spart riskiert den frühzeitigen Radkollaps. Mindestens 36 Stück pro Rad sollten es sein.
Quelle: www.rotwild.de
Reifen
Quelle: www.continental-reifen.de
Quelle: https://bike.michelin.com/de
- E-Handbikes laufen gut auf breiten, pannengeschützten Reifen, in der Art Michelin Energy, Continental Contact oder Schwalbe Energizer Plus, 45 bis 50mm breit, was der Dimension 45-559 bis 50-559 entspricht.
- Wer regelmässig über Kies-, Schotter-, Forst- und Strandwege fährt, wählt besser grobstollige und breitere Reifen wie Maxxis Aggressor, Schwalbe Black Jack oder Continental MountainKing, Dimension 55 bis 65-559.
- Sehr griffige MTB-Reifen sind aus weicher Gummi-Mischungen hergestellt, der Elektromotor am Handbike wird solche Reifen in kürzester Zeit zerreiben.
- Speziell für starke Motoren hergestellte Reifen, wie z.B. Schwalbe Eddy Current rear und Michelin E-Wild rear, werden in 26″ (559) nicht hergestellt. Sie gibt es nur für 27.5″ (584) und 29″ (622).
Sicherheit
- Jedes Standard-E-Handbike soll über ein „safety rack“ verfügen. Daran werden mindestens eine Fahne und Rückstrahler montiert.
- Ohne Rückstrahler weiss vorne, rot hinten und orange seitlich soll kein Handbike auf Strassen unterwegs sein.
- Für E-Alltagshandbikes lohnt es sich Reifen mit Rückstrahler zu montieren. Die meisten oben beschriebenen Reifen können mit Reflex Streifen geordert werden.
- Für Dämmerungs- und Nachtfahrten ist aktive Beleuchtung unabdingbar. Kombiniert fest montiert, idealerweise am „safety rack“ und am Helm.
- Viele E-Bike-Antriebssysteme verfügen über einen Ausgang (Anschluss) für Licht, so kann man sich extra Akkus fürs Licht sparen. Die Bedienung wird dadurch bequem von der E-Bike Steuerung betätigt. Bild rechts unten Bosch Intuvia mit Lichtschalter.
Quelle: https://hzrc-trade.de
Quelle: https://www.bosch-ebike.com
Besonderes / Zubehör
Quelle: Chris Quirk Privatarchiv
- Durch die zusätzliche Power des Elektroantriebes, kann darüber nachgedacht werden, den Rollstuhl mit auf die Tour zu nehmen, um unterwegs vom Handbike unabhängig zu sein. Also an ein entsprechendes Befestigungs- oder Deichselsystem denken.
- Flickzeug, Pneuhebel und Pumpe gehören mit auf die Tour.
- Das E-Handbike verhilft zu höheren Geschwindigkeiten bei verhältnismässig weniger Kraftaufwand, Gute Kleidung mit Windschutz ist eine gute Investition. Mindestens eine gute Windschutzjacke gehört ins Gepäck.
- Querschnitt Sportler müssen sich vor der Tour auch überlegen wie sie ihre Blasen entleeren können. Viele schaffen das im Handbike, aber das sollte erst zu Hause geübt werden. Frauen sind da klar benachteiligt, um so mehr sollte dieses Thema überlegt und vorbereitet sein.