Schalt- und Bremsarmaturen
Das Anbringen von Schalt- und Bremsarmaturen an ein Handbike ist eine Herausforderung.
Beim „normalen“ Fahrrad sind Schalt- und Bremshebel an einen fixen Lenker geschraubt, beim Handbike sind diese quasi an den Pedalen befestigt.
Beim Fahrrad müssen die Kabel oder Druckleitungen den Lenkeinschlag, vielleicht noch den Federweg, ausgleichen, aber beim Handbike werden sie richtig gehend herumgeschleudert.
Bereits bei den vorwiegend verwendeten Bowdenzügen wirkt sich die ständige Bewegung auf die Lebensdauer und die Präzision aus. Häufiges nachjustieren ist des Handbikers Job. Moderne Kettenwechsler warten mit 12-Gang Kassetten auf, die wollen besonders punktgenau geschaltet werden.
Selbst das Nachjustieren wird beim Handbike komplizierter, denn die bequem zu bedienenden Stellschrauben direkt am Brems- / Schalthebel müssten bei Verwendung am Handbike entfernt oder bis zum Anschlag hineingedreht werden. Ihre eigentliche Funktion, die Feineinstellung, werden sie nicht wahrnehmen können, da sie wegen der unablässigen Bewegung der Kabel sich immer lösen und selbst verstellen werden.
Quelle: www.shimano.com
Quelle: www.sram.com
Hydraulische Bremsen lieben es nicht wenn der Bremsgriff mitsamt Expansionsgefäss „herumgeschleudert“ wird. Die Funktion dieser Gefässe ist allfällige Luft aus dem System zu sammeln, daher sind sie beim Fahrrad auch am höchsten Punkt des Systems angebracht. Durch das Kurbeln wird die Luft immer wieder mit dem Öl vermischt und nicht optimal wirkende Bremsen sind die Folge.
Das betriff übrigens alle hydraulischen Bremsen, nicht nur Scheibenbremsen, auch hydraulische Felgenbremsen (z.B. Magura URBAN) sind davon betroffen.
In der Handbike-Praxis bedeutet das nicht, dass man keine hydraulischen Bremsen verwenden kann. Die funktionieren in der Regel problemlos.
Einzig, wir brauchen kürzere Service Intervalle und müssen regelmässiger die Leitungen austauschen.
Falls technisch möglich, baut man einen Lenker ans Handbike und montiert die Bremsen daran. Ich nutze solche Lösungen schon über 15 Jahre. Funktioniert auch bei schmaleren Kurbeln.
Die Wahl des Schalt- / und Bremssystem wird beim Handbike Kauf nicht selten von der Art der Bedienhebeln beeinflusst. Wir sollten also das Schalt- / und Bremssystem nach den angebotenen Armaturen bestellen.
Drehgriff-Schalter
Drehgriff-Schalter sind intuitiv einfach zu bedienen, auf die eine Seite gedreht, folgen die längeren Übersetzungen auf die andere Seite wird’s wieder kürzer. Die Bedienung des Schalters kann es in sich haben. Die Drehgriffschalter sind relativ kurz und werden in der Verlängerung des eigentlichen Griffes montiert. Sie werden also praktisch nur von Daumen und Zeigefinger geklemmt um sie dann zu drehen. Der Handgriff mit Drehgriffschalter ist drehbar an der Kurbel gelagert, so kann es passieren, dass sich die gesamte Einheit wegdreht, wenn die Fahrerin danach greifen will.
Auch ist es nicht jedermanns Sache aus dem Handgelenk heraus zu drehen, während das Handbike angetrieben wird, zumal die meisten Drehgriffschaltungen relativ viel Kraft abverlangen.
Für Menschen mit eingeschränkter Handfunktion machen Drehgriff-Schalter am Kurbelgriff wenig Sinn. Jedoch fest am Rahmen mit adaptierten Verlängerungen bieten sie eine Alternative, wenn sonst keine Schaltung möglich ist.
Rapidfire oder Trigger Schalter
Rapidfire ist ein Typenname für ein Schaltsystem von Shimano, dabei wird der körperzugewandte Hebel mit dem Daumen betätigt und bewirkt den Wechsel auf ein grösseres Ritzel, während der zweite Hebel, bedient vom Zeigefinger, in die entgegengesetzte Richtung gezogen wird und den Sprung auf einen kleineren Ritzel auslöst.
Der Begriff Trigger Schaltung meint das ähnliche System vom Komponentenhersteller SRAM. Dort werden beide Schaltrichtungen mit dem Daumen auf zwei unterschiedlichen Hebeln getätigt.
Während bei Rapidfire auch zwei Gänge gleichzeitig geschaltet werden können, erlaubt SRAM nur ein Gang pro Hebeldruck.
Jeder Handbiker entwickelt seine Vorlieben, die unterschiedliche Systeme können jedoch auch gezielt eingesetzt werden, denn nicht wenige Tetraplegiker schaffen es mit dem Daumen zu drücken, aber mit dem Zeigefinger ziehen ist nicht möglich. In diesem Fall ist die SRAM Trigger-Schaltung die erste Wahl.
Achtung bei der Dreigang-Schaltung. Da die, beim Handbike oberen und beim Fahrrad vorderen Kettenblätter relativ grosse Sprünge machen und zusätzlich die Kette auf den grossen Kettenblättern lange geführt ist, verfügen die Umwerfer ab Werk starke Federn. Will man nun von einem kleinen Kettenblatt auf ein grösseres Kettenblatt, also aus einem kleinen in einen längeren Gang wechseln, ist man gezwungen gegen diese Feder drücken, das benötigt relativ grosse Kraft. Nicht jeder schafft das.
Eine Alternative um nicht gegen diese Stellfeder ankämpfen zu müssen ist der Schaltehebel direkt am Umwerfer.
Schalthebel direkt am Umwerfer
Auslöser zur Entwicklung dieser Idee war ein Erlebnis während eines der ersten Handbikerennens 1996 oder 1997. Die Strecke, eine Runde die wir 12 oder 15 Mal zu fahren hatten, wies eine kurze aber heftige Steigung mit anschliessender Abfahrt auf. Bereits in der dritten Runde traute ich mir nicht mehr zu, die Steigung mit dem grössten oberen Kettenblatt zu meistern und schaltete über den Shimano RapidFire Schalthebel in das mittlere Blatt. Für die Abfahrt wollte ich natürlich wieder das grosse Kettenblatt nutzen. So musste ich, in jeder Runde unmittelbar nach dem kräftezehrenden Aufstieg, mit dem linken Daumen gegen die Feder des Umwerfers drücken um die Kette auf das grosse Kettenblatt zu wechseln. Ungefähr nach einer Stunde Hetze gelang mir das nicht mehr, die nötige Kraft im Daumen war offensichtlich in anderen Muskel des Körpers verbrannt worden, so musste ich mit der rechten Hand herüberlangen um den Hebel zu drücken.
In den darauf folgenden Trainingsfahrten sinnierte ich über das Problem und studierte den direkt vor meiner Nase liegenden Umwerfer. Ich beliess es nicht nur beim Schauen und drückte an dem Umwerfer herum. Plötzlich fiel mir die Idee ein, bei den damaligen Varna Bikes einen Hebel direkt an den Umwerfer, an die Stelle wo normalerweise das Schaltkabel eingeklemmt wird, zu schrauben. Wir mussten nur noch die beschriebene starke Feder kappen und eine neue Lösung war geboren. So schaltet man die drei Grossen ohne Kabel und Schalter und mit nur geringem Kraftaufwand.
Schmicking, TopEnd, ProActiv und sicher auch anderer Handbikehersteller bieten diese Version heute auf ihren Bestellblättern an, von Praschberger ist bekannt, dass er sich nicht zu schade ist, diese Lösung auf Wunsch zu liefern.
Bremsschalthebel am Rahmen vor der Kurbel
Eine interessante Idee die „fliegenden“ Kabel zu umgehen, ist der Einsatz der seit 1990 bekannten Rennrad-Schaltgruppen. Sie vereinen Brems- und Schalthebel in einem Kombihebel dem Bremsschalthebel. Zieht man am Hebel wirkt die Bremse, drückt man den Hebel seitlich weg, schaltet der nächste Gang. Durch drücken auf den kleinen Rückstellhebel klickt‘s wieder einen Gang zurück.
Kreative Handbike Hersteller bauen nun diese Bremsschalthebel quer liegend an den Gabelrahmen. Der Fahrer hat die Wahl, bei jeder Kurbelumdrehung, wenn seine Hand am fixen Bremshebel vorbei kommt, die Finger etwas auszustrecken um dem Hebel einen seitlichen „Schlag“ zu versetzen, damit ein Gang gewechselt wird. Streckt er die Finger nur soweit aus, dass er den kleineren Rückstellhebel erreicht, schaltet das System einen Gang zurück.
Will er bremsen, lässt er die Kurbel los und greift zur Bremse.
Alle bekannten Rad-Komponenten-Hersteller führen solche Kombihebel im Programm.
Wie so oft gibt es auch hier einen Hacken, diese Kombination von Bremse und Schaltung schränkt die Auswahl der möglichen Entfaltung der Gänge (siehe Kapitel Übersetzungen) ein, da diese Komponenten nur schlecht mit Mountainbike-Schaltungen kompatibel sind. Die Gänge lassen sich auch nur bei hoher Kadenz richtig schalten, es gab schon Handbiker die mit hohem Tempo in eine steile Steigung fuhren, vielleicht noch um eine Kurve und wurden dann so vehement und erbarmungslos abgebremst, dass ihnen keine Chance mehr blieb, schnell genug kleinere Gänge einzuwerfen.
Unangenehmes Gefühl, mit einem riesen Gang montiert am Berg zu stehen und die schadenfreudigen Gesichter der vorbeifahrenden Konkurrenten zu sehen.
Mountaindrive Knöpfe
Das Schlumpf Mountain-Drive Getriebe ist eine schlanke schöne und kabellose Lösung für die obere Schaltung. Auf Knopfdruck kann die Umdrehung des Kettenblattes 2.5-fach untersetzt werden. Das ist vergleichbar mit einem Wechsel von einem Kettenblatt mit 50 Zähnen auf eines mit nur 20 Zähnen. Diese grosse Differenz ist für uns Handbiker sehr willkommen (mehr dazu im Kapitel Getriebeschaltungen). Die Knöpfe befinden sich im Zentrum der Kurbelwelle und sind damit für den Handbiker ideal zu erreichen.
MTB Handbike Hersteller wie Reactiv und SportOn setzen die Mountaindrive gerne ein, weil der grosse Schaltsprung besonders im Gelände Vorteile bringt.
Bedienelemente elekronische Schaltungen
Seit es Handbikes gibt, kämpft jeder Hersteller und jeder Nutzer mit dem bereits beschriebenen Problem, dass von der beweglichen Kurbel Brems und Schaltkabel wegführen. Häufig verdrehte, geknickte oder abgerissene Kabel sind ein Ärgernis und nötigen zu häufigen Reparaturen.
Wäre doch traumhaft, wenn man auf diese Kabel verzichten könnte.
Mindestens für die Schaltungen heisst das Zauberwort Elektronik.
Schon kurz nach der Jahrtausendwende brachte der französische Hersteller Mavic eine per Knopfdruck funktionierende Rennradschaltung bei der die Kraft zur Betätigung des hinteren Schaltwerkes vom Rädchen des Kettenspanners abgezweigt wird. Die damit einhergehende Möglichkeit die Knöpfe zum aktivieren des Systems irgendwo am Rahmen oder an den Griffen zu befestigen, stach den Handbikern schnell ins Auge. Leider stellte sich bald heraus, dass diese Mavic Schaltung nur sehr bedingt handbiketauglich ist. Es kann nur eine bestimmt Differenz vom kleinsten zum grössten Kettenblatt überwunden werden (mehr zum Thema im Kapitel Übersetzung) und die Schaltung funktioniert nur, wenn die Kette in einer gewissen Geschwindigkeit über den Kettenspanner rollt. Die nötige Geschwindigkeit erreicht man mit dem Handbike aber selten.
In den letzten Jahren machten die Entwicklungen grosse Fortschritte. aktuell in aller Munde sind elektronische Schaltwerke. Kettenschaltungen wie Shimano Di2, SRAM Etap und Campagnolo EPS und Nabenschaltungen wie Shimano Alfine Di2 oder Rohloff mit E-14 und Shiftezy bringen neuen Wind in den Handbike Himmel. Für uns Handbiker eröffnen sich neue Welten, es braucht keinen mechanischen Schalter mit fliegenden Kabeln mehr. Nur noch zwei kleine Knöpfe am Griff und ein elektrisches Kabel entlang des Bremskabels und es können alle Gänge der Reihe nach durchgeschaltet werden. Die elekronischen Schaltungen übernehmen sogar das Überlegen ob nun oben an den Kettenblättern oder unten an der Kassette der Gangwechsel nötig wird.
Die Rennradschaltungen Campagnolo EPS, SRAM Etap und Shimano Di2 werden üblicherweise über Bremsschalthebel bedient zusätzlich bieten alle zusätzliche externe Schaltknöpfe für Triathlon Lenker. Genau auf diese externen Schaltknöpfe haben es wir Handbiker abgesehen, denn diese lassen sich bequem überall plazieren wo es der Handbiker wünscht.
Seit Ende 2016 ist sogar eine Wireless Lösungen von Shiftezy für Rohloff erhältlich. 2018 soll für Rohloff auch die E-14 kabellos folgen.
Ebenfalls kabellos ist die Rennradschaltung SRAM RED erhältlich. SRAM verspricht bald eine wireless Schaltung für MTB’s auf den Markt zu bringen, die SRAM Eagle eTap. Das könnte für Handbiker sehr elegante Lösungen bieten.
Was gibt es schöneres als zwei Knöpfe, einer für Hoch- und der andere für Herunterschalten, ohne Kabel?